Schaltplanfragment

Das Funkgerät in “Fuerza-Aérea-Uruguaya-Flug 571”

1. Einführung

Im Oktober 1972 verunglückte in den Anden eine mit 45 Menschen besetzte Fairchild F-27 der uruguayischen Luftwaffe während eines Charterflugs nach Santiago de Chile.

Angesichts der verheerenden Kollision mit einem Berg schien es zunächst als unglaubliches Glück, dass ein größerer Teil der Passagiere den Absturz überlebte und mit vergleichsweise harmlosen Verletzungen davonkam.

Die Absturzstelle befand sich in einem abgelegenen und schwer zugänglichen Teil der Hochanden. Es war noch kein Sommer auf der Südhalbkugel, die Nächte waren extrem kalt und Witterungsverhältnisse in diesen Höhen auch am Tage unvorhersehbar und potentiell tödlich.

Rasche Hilfe von außen war unwahrscheinlich, was die im Flugzeugwrack verharrenden Überlebenden, zum überwiegenden Teil junge Rugbyspieler aus Montevideo, nach einigen Tagen bestürzt realisierten – ein kleines batteriebetriebenes Transistorradio ermöglichte den Empfang von chilenischen und uruguayischen Nachrichten.

Als besonderes Pech kam hinzu, dass abgesehen vom Bordmechaniker kein Besatzungsmitglied mehr am Leben war. Es gab niemanden der ihnen Hinweise geben konnte wo sie abgestürzt waren, oder welche Möglichkeiten die im Rumpf befindliche unversehrte Technik bot.

Einige Hoffnungen stützten sich auf das offenkundig intakte Funkgerät. Könnte man dieses mit der 24V Batterie im einige Kilometer entfernt im Schnee liegenden, durch die Kollision abgetrennten Heck verbinden, so die Idee, wäre es möglich ein Notrufsignal zu senden.

2. Zielsetzung des Artikels

Unter den gut zwei Dutzend Überlebenden gab es niemanden mit irgendeiner Art von Erfahrung im Hochgebirge.

Es gab auch niemanden der elektrotechnisches Knowhow besaß oder, mit einer einzigen Ausnahme (Roy Harley), sich überhaupt schon einmal mit technischem Gerät auseinandergesetzt hatte.

Daher mag es eine lohnende Übung sein zu spekulieren, inwieweit das Vorhaben das Funkgerät in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen – es war trotz großer Anstrengungen nicht erfolgreich – tatsächlich von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Die in diesem Artikel geführte Diskussion geschieht im Rahmen der mir verfügbaren Quellen, wie zum Beispiel alte Betriebshandbücher und Berichte von Beteiligten (siehe Absatz 7, Referenzen). Auch das Andes 1972 Museum war mir bei meiner Recherche behilflich.

In den Absätzen 3 und 4 erfolgt zunächst eine Beschreibung der Technik und der Gegebenheiten mit welchen sich die jungen Männer aus “Fuerza-Aérea-Uruguaya-Flug 571” konfrontiert sahen (tragischerweise verstarb jede der wenigen Frauen an Bord kurz nach dem Absturz, oder durch die verheerende Lawine Ende Oktober).

Absatz 5 diskutiert anschließend die grundsätzliche Machbarkeit das Funkgerät in einen funktionsfähigen Zustand zu versetzen um mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen.

3. Das Flugzeug

3.1 Allgemeines

Die F-27 bzw. FH-227 (Langversion) war ein in den 1950er-Jahren entwickeltes und in größeren Stückzahlen in den 1960er-Jahren gebautes, vollständig aus Metall bestehendes zweimotoriges Verkehrsflugzeug des US-Flugzeugbauers Fairchild Hiller.

Die F-27 war in der Lage bei guten Wetterbedingungen dauerhaft in einer Höhe von 7.650 Metern zu fliegen (25.000 ft.), und die übliche Reisegeschwindigkeit betrug 483 km/h (300 MPH).

Die Passagierkapazität war in Grenzen variabel und konnte je nach Ausstattung und Arrangement des Innenlebens unterschiedlich ausfallen. Üblich waren 40 bis 50 Reisende.

3.2 Bordnetz und Elektronik

Zunächst erzeugten zwei motorgetriebene Gleichstromgeneratoren (DC-Generatoren) in den Tragflächen bzw. Turboprop-Triebwerken eine elektrische Spannung von 28V.

Zwei sog. Inverter oder Wechselrichter generierten aus dieser Gleichspannung eine Wechselspannung (AC) von 115V mit einer Frequenz von 400 Hz1. Zudem gab es drei Batterien und einen weiteren Generator in einer optionalen elektrischen Hilfseinheit.

Die Unterlagen die mir zur Verfügung stehen verraten leider nicht, nach welchem Prinzip die Inverter arbeiteten (mechanisch oder mit Halbleitern) oder wo diese im Flugzeug verortet waren; jene waren für den Betrieb des Funkgerätes (und anderer Einrichtungen, zum Beispiel der Anlage für die Kabinendruck-Regelung) essentiell.

Arbeiteten die Inverter mechanisch, was wahrscheinlich ist, befanden sie sich gleichfalls an den Triebwerken (Quelle [2] suggeriert genau das).

Nachzulesen in der “Fairchild F 27F Brochure” (Referenz [1]) ist außerdem:

(…), the main electrical junction box and the radio rack are grouped together.

Anhand der skizzierten Wartungsbereiche erkennt man, dass sich ein guter Teil der Flugzeugelektronik vorne rechts in der Nähe des Gepäckraums befand, dort wo auch die elektrische Verkabelung durch die Decke in einen Bereich außerhalb der Druckkabine geführt war.

Eine Antenne (Modellbezeichnung: Collins 137X-1) war ebenfalls in diesem Abschnitt montiert. Sie war in erster Linie auf mechanische Robustheit ausgelegt und weniger auf perfekte elektrische Eigenschaften (wobei auch hier nicht hundert Prozent sicher ist, ob diese Antenne zum Funkgerät gehörte oder zu einer anderen UKW-Einrichtung2 an Bord, wie z. B. dem Funkkompass).

3.3 Zustand des Wracks

Das Flugzeug bestand nach der Kollision mit dem Berg aus mehreren Bruchstücken.

Die vordere Hälfte des Flugzeugrumpfs welche auf einem Gletscher zum Stehen kam war einigermaßen intakt und diente den Überlebenden als Not-Biwak.

Der letzte Aufprall auf eine Schnee- und Eiswand hatte das Cockpit stark zusammengedrückt und ließ den Piloten keine Chance auf ein Entkommen, wenn auch die elektronischen Instrumente im Frontbereich noch benutzbar schienen.

Die Kommunikationseinrichtung bestand aus mehreren Teilen die über den vorderen, erhalten gebliebenen Teil des Rumpfs an unterschiedlichen Orten verbaut war.

Der Empfänger befand sich im Cockpit und war relativ schnell demontiert.

Das Sendeteil war im Gepäckraum in unmittelbarer Nähe zur Antenne unter einer Verkleidung montiert, wohl um Platz im Cockpit zu sparen. Die Männer bauten es dort nach mehrtägiger Arbeit unter einigen Schwierigkeiten aus.

Beide Tragflächen mit den Triebwerken lagen für die Passagiere zunächst unauffindbar an den Berghängen im Schnee, genauso wie das Heck mit der Batterie. Eine kleine Gruppe von Überlebenden entdeckte dieses fünf Wochen nach dem Absturz.

1 die Frequenz von 400 Hz der 115 Volt Wechselspannung wird nicht explizit erwähnt, fand aber höchstwahrscheinlich als ein in der Luftfahrt etablierter Wert (Referenz [5]) auch im Bordnetz der Fairchild F-27 Verwendung

4. Das Funkgerät

4.1 Technischer Kontext

Auch nach intensiver Recherche war es mir nicht möglich festzustellen, von welchem Hersteller das in der abgestürzten Maschine verbaute Funkgeräte stammte. Es gibt allerdings einen plausiblen Kandidaten (siehe Absatz 4.2).

Klar scheint jedenfalls, dass die 115V Wechselspannung der Inverter die notwendige Energie für das System bereitstellten.

Wie Referenz [2], Kapitel 15 anmerkt musste ein direktes Anschließen einer 24V Batterie an den Sender, sei es an einen Stecker oder an freiliegende Kabel, ohne Ergebnisse bleiben.

Funktechnik, gleichgültig ob modern oder 50 Jahre alt, benötigt im Kern jedoch ohne jeden Zweifel Gleichspannungen, beispielsweise zum Betrieb eines Antennen- oder Mikrofonverstärkers oder auch der Endstufen.

Die entscheidende Frage ist nun, ob man in der Lage ist diejenigen Elemente zu identifizieren die für eine Spannungstransformation, Gleichrichtung oder DC/DC-Wandlung sorgen.

4.2 Kommunikationseinrichtung

1993 verarbeitete ein Katastrophenfilm das Geschehen in den Anden zwei Jahrzehnte zuvor (“Alive”, deutscher Titel “Überleben”).

Auch der Versuch das Funkgerät in Betrieb zu setzen wird im Film thematisiert. Das Filmrequisit das zu sehen ist weist einige Beschriftungen auf. Eine davon lautet:

707A VHF Transmitter FCC TYPE APPROVED

Dies bezeichnet ein historisch plausibles Modell (eine Serie von UKW-Funkgeräten2 der US-Firma Wilcox gebaut in den 1960er Jahren) bzw. einen Teil eines Gesamtsystems einer Kommunikationseinrichtung, denn Transmitter ist lediglich ein Sendeteil.

Es ist in der Tat nicht so unwahrscheinlich, dass das Requisit dem realen Modell entsprach oder diesem zumindest stark ähnelte (wiederum Referenz [2], Kapitel 7) da auch ein Überlebender als technischer Berater am Film mitwirkte.

Das Gesamtsystem bestand, wie in Absatz 3.3 angemerkt, aus mehreren eigenständigen Einheiten – neben dem Transmitter und der Antenne noch aus einem Receiver sowie der Frequenzbereich-Einstellung, siehe obiges Bild – was eine mögliche Inbetriebnahme unter den gegebenen Umständen zusätzlich erschwerte.

Ob der abgebildete “Dynamotor” (DC-zu-AC-Wandlung) so ebenfalls verbaut war erscheint äußerst fraglich, da das Flugzeug selbst ja eine Wechselspannung bereitstellte. Aber auch hier muss die Antwort aufgrund der vielen Unbekannten in der Gleichung spekulativ bleiben.

4.3 Der Transmitter

Beim Transmitter handelte es sich um einen explizit für den Luftverkehr entworfenen AM-Sender mit 360 Kanälen. Diese verteilten sich über den Frequenzbereich von 118.00 MHz bis 135.95 MHz (es ergibt sich somit ein Kanalraster von 50 kHz, Referenz [4]).

Etwas überraschend erscheint, dass dieses Gerät ausschließlich mit Gleichspannungen versorgt wird, Seite 2-10:

The Series 707 Transmitter is designed to be powered from external power supplies capable of providing 27.5 volts d-c, 250 volts d-c, and 500 volts d-c.

The required 27.5-volt d-c potential is obtained from the aircraft power system.

Und weiter heißt es:

External 250- and 500-volt d-c supplies are required to furnish high voltage for the transmitter. (…) The 500-volt source is connected through the internal wiring of the transmitter to the final r-f amplifier and modulator stages.

Auch der Schaltplan im Anhang des Handbuchs zeigt detailliert die Führung der drei Spannungspegel durch das Gerät, das ohne jegliche Transistoren auskommt und mit Röhren betrieben wird.

Welche Vorrichtung im Flugzeug die 250V bzw. 500V für den Transmitter liefert war für die Ersteller der Dokumentation ohne Bedeutung.

2 die englische Abkürzung VHF, Very High Frequency, entspricht der deutschen Abkürzung UKW, also der Frequenzbereich von 30 MHz bis 300 MHz

5. Bewertung

Es gab fünf wesentliche Komponenten die es zu verbinden galt wollte man den Sender in Betrieb nehmen, vorausgesetzt die Fairchild war tatsächlich mit dem oben beschriebenen System ausgerüstet.

Von einer 28V Gleichstromquelle (1) ging es in die Inverter (2), eine in meinen Quellen nicht näher beschriebenen Einrichtung (3) transformierte die Wechselspannung und richtete sie gleich.

Die so erzeugten Gleichspannungen von 250V und 500V versorgten mit den 28V den Transmitter (4). Wird gesendet strahlt die haifischflossenförmige Antenne (5) elektromagnetische Wellen aus.

Die Komplexität der sich stellenden Aufgabe war für einen technisch nicht bewanderten, traumatisierten und halb verhungerten Flugzeug-Passagier praktisch nicht zu durchdringen.

Und auch ein versierter Ingenieur wäre ohne Werkzeugausstattung, technische Unterlagen und sehr viel Erfahrung mit Sicherheit schnell an seine Grenzen gestoßen.

Denkbar ist, zumindest was die Theorie angeht, die 24V Batterie an die Inverter anzuschließen (wenn es sich um “Static Inverter” handelte, also Halbleiterumrichter ohne sich bewegende Teile) und für einige Zeit ein einfaches Notrufsignal, beispielsweise ein Morsesignal oder lediglich Funkfeuer zu senden, wäre es tatsächlich gelungen alle Bestandteile in einer funktionstüchtigen Konfiguration zu verbinden.

Selbst diese Möglichkeit scheidet aus, falls die Inverter zusammen mit den Triebwerken zerschmettert am Berg lagen.

Inwieweit elektromagnetische Wellen überhaupt die Chance haben durch ein Hochgebirge zu dringen und welche Sendefrequenzen man einstellen muss sind ebenfalls keine trivial zu beantwortenden Fragen.

Ultrakurzwelle benötigt quasioptische Verbindung was folglich die Chancen auf den Empfang eines SOS durch Helfer signifikant verringert, sind diese nicht gerade selbst mit dem Flieger über der Unglücksstelle unterwegs.

Alles in Allem sprach von Beginn an nichts für ein Gelingen der aufwändigen Reparaturaktion.

6. Epilog

Das vorhandene Funkgerät hatte bei einigen Überlebenden falsche Hoffnungen geweckt. Wertvolle Ressourcen waren aufgewendet worden die Batterie im Heck zu finden sowie die Kommunikationseinrichtung zu zerlegen wie wiederaufzubauen.

Letzten Endes war es schiere Muskel- und Willenskraft und nicht ein technisches Gerät aus dem Flugzeug was die Männer aus den Bergen führte.

Nando Parrado und sein Freund Roberto Canessa durchstiegen Felshänge, Schnee und Eis und erreichten am 22. Dezember nach zehn Tagen Gewaltmarsch die Zivilisation.

16 Passagiere ertrugen und überlebten die lebensfeindlichen Bedingungen im Hochgebirge mehr als zwei Monate lang. 29 Menschen fanden jedoch den Tod und ihre letzte Ruhestätte im argentinischen Teil der Anden.

7. Referenzen und Literatur

[1] Flight Manuals Online – FAIRCHILD F-27 FRIENDSHIP

[2] “Überleben” – Piers Paul Read, Riva Verlag; ISBN 978-3-86883-262-4 (4. Auflage)

[3] “72 Tage in der Hölle” – Nando Parrado, Wilhelm Goldmann Verlag; ISBN: 978-3-442-15498-2

[4] Betriebshandbuch “VHF TRANSMITTER SERIES 707, TYPE 97494”

[5] “Technologie des Flugzeuges” – Klaus Engmann, Vogel Buchverlag; ISBN 978-3-8343-3304-9